keiko harada – midstream
Carin Levine, Flöten
Stefan Hussong, Akkordeon
Naoko Kikuchi, Koto
Yumiko Meguri, Klavier
Jürgen Ruck, Gitarre
Mike Svoboda, Posaune
WERGO WER73542
Spielen zwei Instrumente zusammen, nennt man das Duo. Die sechs Stücke auf der neuen CD von Keiko Harada sind jedoch weit mehr als das. In wechselnden Kombinationen treten sechs ausgezeichnete InstrumentalistenInnen in musikalische Dialoge, in deren Verlauf sie sich verschieden zueinander verhalten: einvernehmlich, eigenständig, eigensinnig, streitbar, konfrontativ, gegensätzlich …. Die ProtagonistInnen agieren mit ihrer charakteristischen Klangerzeugung, Spielkultur, Körper- und Persönlichkeit rein musikalisch und doch zugleich – zumal in solch herausragenden Interpretationen – wie lebendige Menschen. Tatsächlich ist es ein Leitgedanke der 1968 in Tokyo geborenen und dort an der Tōhō-Gakuen-Musikschule ausgebildeten Komponistin, die “wunderbaren Möglichkeiten des Menschen”, namentlich “Geist, Körper und Verstand in ihrer Synergie” zu erkunden. Bei den Aufnahmen gleich viermal vertreten ist Akkordeonist Stefan Hussong, dreimal Flötistin Yumiko Meguri und je einmal Koto-Spielerin Naoko Kikuchi, Gitarrist Jürgen Ruck und Posaunist Mike Svoboda.
Haradas Zero Hour verbindet zwei in jeglicher Hinsicht anders geartete Individuen: Alt-/Bassflöte und Koto. Doch über alle Distanzen von deren Herkunft, Bau- und Spielweise hinweg bringt Haradas Einfallsreichtum die beiden instrumentalen Pole in eine denkbar enge, geradezu intime Kommunikation: Hier das westliche Blas- und Melodieinstrument aus Metall, dort die hölzerne Wölbbrettzither der japanischen Hofmusik Gagaku. Beide Parteien sind bereit, sich aufeinander einzulassen, zu interagieren und vom anderen zu lernen. Analog anverwandelte Spiel- und Klangtechniken überwinden die Fremdheit: perkussives Zupfen und plosives Anblasen, tonloses Streichen über die Saiten und Luftgeräusche, Tremolo und Flatterzungen. Auf die typischen Vibrati und Tonbeugungen, die sich auf der Koto durch Herunterdrucken der Saiten erzeugen lassen, antwortet die Flöte mit frappierend gleichlautenden Glissandi: Die Flöte lernt Koto und umgekehrt. Das ist die implizite humane Botschaft dieses kunstvollen Gesprächs ohne Worte.
Ebenso begegnen sich Gitarre und Akkordeon in The 5th Season durch strukturelle Gleichbehandlungen bei Intervallfolgen, Sprüngen, Laufen. Besonders faszinieren schwerelos durch den Tonraum glissandierende Pizzikati, denen ebenso gleitende Tonhöhen des Tasteninstruments folgen, auf dessen sirrend hohe Liegetöne wiederum die Gitarre mit Quietschen längs der Saiten reagiert. in midstream+ korrespondieren tonlose Atemstöße und schnarrende Dämpfer-Klänge der Posaune mit Akzenten des Balgs und dichten Clustern. Die Detailliertheit und Genauigkeit von Keiko Haradas Partituren der Jahre 2000 bis 2016 verdankt sich vielleicht nicht zuletzt ihrem einstigen Aufbaustudium bei Brian Ferneyhough. Das Ergebnis sind nonverbale Dialoge, nuanciert, überraschend, spannend, hellhörig – und in jedem Fall hörenswert.
Rainer Nonnenmann, Neue Zeitschrift für Musik 04/2017