‘Ich habe Antennen’
Kritik zu WERGO: Isang Yun: Kammermusik mit Akkordeon
‘Concertino für Akkordeon und Streichquartett’, ‘Duo für Viola und Akkordeon’, ‘Intermezzo für Violoncello und Akkordeon’, ‘Pezzo fantasioso per due strumenti con basso ad libitum’. Solche Titel geben zu erkennen, dass es Isang Yun weder um serielle Exerzitien (nach Boulez’ oder Stockhausens Art) noch emotionale Abenteuerreisen (Turnage, Adès) oder religiös überhöhenden ‚Monumentalismus’ (Messiaen, Peter Michael Hamel) zu tun ist. Wenn weit hergeholte Vergleiche erlaubt sind, ist allenfalls an die klanglich und emotional Konzentrierten, die Stillen unter den Zeitgenossen, Klaus Huber beispielsweise, zu denken.
Nun gehört Isang Yun zu den bekannteren zeitgenössischen Komponisten. Fünfzehn Jahre nach seinem Tod wird er wie selbstverständlich zu den Klassikern der Moderne gerechnet – mit offener Flanke zum ‚postmodernen’ Stilpluralismus und (wenn auch intellektuell nobilitierter) ‚Weltmusik’. Trotzdem herrscht kein Überfluss an Plattenaufnahmen, und die Vergleichsmöglichkeiten sind beschränkt. (Das ‘Intermezzo’ erscheint zum ersten Mal auf Platte.) In der Behauptung, diese Aufnahmen böten ein musikalisches Nonplusultra, liegt dennoch kein haltloser Überschwang: Das Minguet-Quartett, Stefan Hussong (Akkordeon) und Julius Berger (Cello) sind überaus fähige Interpreten und werden ihrem Ruf auch dieses Mal gerecht. Dass Transparenz regiert und allerlei abseitig schillernde, ins Atmosphärische sich verflüchtigende Klangmischungen zu Gehör gebracht werden, ist angesichts der Besetzung wenig verwunderlich. Die feinen Abstufungen im Leisen – Anton von Webern kommt in den Sinn –, artikulatorische und rhythmische Nuancen, Sattelfestigkeit auch im mikrotonalen Bereich, besonders die Fähigkeit, Kontemplatives mit Konzertantem zu verbinden, verinnerlichten ‚Ausdruck’ mit Freude am Spiel, sind jenes Surplus, dass ihren Darstellungen ein Gepräge des Außerordentlichen verleiht. Im bienenstockartigen Flimmern und Schwirren nicht weniger Klänge verschmelzen Lustigkeit und Lust mit unheimlichen, unerhörten Intervallen in durchaus verstörender Weise.
Wergo und Deutschlandfunk gewährleisten die seriöse Machart dieser Produktion. Robert Nemecek hat einen knappen, klugen Booklettext verfasst. Auch wird ein Interview (1987) mit Isang Yun geboten. Es ist den großen Fragen gewidmet: „Meine Musik hat weder Anfang noch Ende. Man kann Elemente von einem Stück sehr gut in ein anderes übernehmen. […] Musik schwingt im Kosmos und ich habe Antennen, die es mir ermöglichen, ein Stück aus diesem Klangstrom herauszuschneiden. […] Das ist der Grund dafür, dass meine Musik ein Kontinuum bildet – wie die Wolken, die immer die gleichen sind, aber niemals dieselbe Form behalten.“ Auf Esoterik freilich lässt sich Isang Yun nicht reduzieren, und europäische Klischees von Asien mag er nicht bedienen: „Im Kosmos gibt es weder Ost noch West!“
Dr. Daniel Krause, 08.04.2010