Von Seltenheitswert: Der Akkordeonist Stefan Hussong im Avantgarderausch
Akkordeonisten aller Länder, vereinigt euch, in und zwischen den Schluchten von Manhattan, Madrid, Moskau, schluchzt euch das d-Moll rein der chromatischen Bach-Fantasie und lasst die zugehörige Fuge verebben zwischen Stickoxiden und Nebelschwaden. Setzt den Fandango drauf und dann den Tango, macht daraus den Fantango und therapiert euch samt uns allen den Weltschmerz weg mit eueren Sehnsuchtsorgien aller Straßenmusiker aller Völker. So könnte ein Akkordeonkonzert annonciert sein.
nmz online, 05.02.2018 – Von Wolf Loeckle
Außerhalb der alltagstypischen Gepflogenheiten großstädtischer Musikbetriebsamkeiten. Die nicht mehr der sakralen Pflicht dienende Allerheiligenhofkirche zu München in all ihrer puristischen Archaik, die an Krieg und soziale Ungerechtigkeit denken lässt, inmitten der innerstädtischen Residenz, hatte jetzt anderes im Sinn. Denis Patkovic war annonciert. Samt einem intelligenten Programm für Akkordeon solo. Als Meisterschüler des Meisters Hussong aus Würzburg war er avisiert. Mit JSB und Gubaidulina und Tajcevic, Soler, Tiensuu wie Piazzolla. Eine Mischung aus den originalen Konzepten intelligenter Klangerfinder, unterwegs im authentischen Notentext oder im fürs Akkordeon angepassten Kontext. Doch Patkovic musste krankheitsbedingt absagen.
Seinen Part übernahm kurzfristig sein Lehrer, der im Betrieb verankerte Stefan Hussong. Exponent fürs exemplarisch Avantgardistische und Zeitgenössische. Und so brachte auch der Würzburger Hochschullehrer ein Programm mit, das weit jenseits der Norm durchaus mutig die Gegenwart in beachtlicher Fülle auf den schwebenden Klangflügeln des Akkordeons im Raum sich ausbreiten ließ. Mit all ihren Bestrebungen, das Althergebrachte außen vor zu halten. Und dennoch setzten Igor Strawinsky vor der Pause mit seinem Tango von 1940 und Johann Sebastian Bach nach der Pause mit dem Choral Aus tiefer Not ruf ich zu Dir Akzente fürs analytische Denken, das sich am doch nicht orgelnahen Tonfall des Akkordeons kreativ reiben konnte. Als zentraler Kernpunkt erwies sich Sofia Gubaidulinas De Profundis, das sich in seiner knorrigen Strukturiertheit attacca mit Bach verknüpfte. Und so den Höhepunkt des Abends markierte.
Problematisch bleibt beim Akkordeonklang das in der Raumakustik verschwimmende Tonbild. Antonio Solers Strukturen erzeugen Reibungsgewinn gerade im metallischen Cembalo-Duktus. John Cages assoziative Konzepte dagegen profitieren vom homogenen Ineinandergreifen der Akkordeon-Sounds. Zwischen Bearbeitung und Original eröffnete Hussong den Zugang zu experimentellen Territorien, deren Erforschung neue Erkenntnisprozesse in Gang setzen können und wollen. Das ist viel.